Die Geschichte von Wilhelmshaven
19. Jahrhundert
Das Gebiet der heutigen Stadt Wilhelmshaven wurde ursprünglich
von den Friesen besiedelt. Bis zum Landkauf durch das Königreich Preußen
befanden sich auf dem heutigen Kernstadtbereich die beiden landwirtschaftlich
geprägten Kirchspiele Heppens und Neuende, die zum Großherzogtum
Oldenburg gehörten. Mit dem „Jade-Vertrag“ vom 20. Juli 1853
kaufte Preußen, das noch keinen Nordseehafen besaß, vom Großherzogtum
Oldenburg ein 313 Hektar großes Gebiet am Jadebusen zur Errichtung eines
Stützpunktes für die preußische Marine. Am 23. November 1854
wurde das Gebiet unter dem Namen Königliches Preußisches Jadegebiet
an Prinz Adalbert von Preußen, Admiral der preußischen Marine, übergeben.
Seither ist die Geschichte Wilhelmshavens eng mit der Geschichte der preußischen
und deutschen Marine verbunden.
Die preußische Admiralität übertrug dem Geheimrat Gotthilf Heinrich
Ludwig Hagen die Leitung der Planungen für den ersten deutschen Kriegshafen
an der Jade. Hagen, ein Ingenieur und Fachmann auf dem Gebiet des Wasserbaus,
wurde von seiner Tätigkeit im Preußischen Handelsministerium beurlaubt
und übernahm den Vorsitz der am 8. Juli 1855 gegründeten Hafenbau-Kommission
im neuen preußischen Jadegebiet. Nachdem ihn die Entwürfe zweier
international bekannter Sachverständiger nicht zufriedenstellten, legte
er der preußischen Admiralität am 29. Mai 1856 einen eigenen Hafenentwurf
vor. Dieser Entwurf war von großer Weitsicht und Sachverstand geprägt,
weil er die zunächst noch geringen Anforderungen der preußischen
Admiralität erfüllte, aber auch genügend Platz für später
notwendige Erweiterungen und Ergänzungen bereithielt. Der Hagensche Hafenplan
mit Befestigung und Stadtansiedlung für das Marine-Etablissement erhielt
am 25. Juni 1856 die Zustimmung und Genehmigung durch Kabinettsorder König
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Nach Abschluss der Planungen kehrte
er am 12. August 1856 in das Preußische Handelsministerium zurück.
Die Umsetzung des Planes erfolgte im darauffolgenden Jahrzehnt mit mancherlei
Änderungen, die sich größtenteils aus der nicht still stehenden
Entwicklung von Hafen- und Schiffbau ergaben. Der Plan bestimmt noch heute den
Grundriss des Stadtkerns.
Der Jade-Vertrag von 1853 enthielt für Preußen die Auflage, dass
sich nur solche Zivilpersonen im Marine-Etablissement ansiedeln durften, die
direkt mit dem Hafenbau oder mit der Versorgung der Schiffe zu tun hatten. Der
Plan von Hagen aus dem Jahr 1856 zeigt daher nur eine kleine Stadtansiedlung
an der Südseite der Hafenanlagen. Die Ansiedlung wurde über die Sander
Chaussee erschlossen, die von der Landstraße Varel–Jever über
Sande, Mariensiel und der Ebkeriege in etwa dem Verlauf der heutigen Bismarckstraße
folgte. Von der Chaussee zweigte die Jachmannstraße ab und führte
in südlicher Richtung zu einer Brücke über den Hafenkanal. Hier
entstand ab 1858 eine exakt geplante Ansiedlung mit rechtwinklig angelegten
Straßen und Wohnquartieren. Die ersten Marinebauten waren die sogenannten
Lotsenhäuser an der Manteuffelstraße. Von hier aus wurden Jahr für
Jahr weitere Straßen und Bauten Richtung Westen angelegt, unter anderem
die Roonstraße (die heutige Rheinstraße). Sie war als Hauptstraße
für die Anlage größerer repräsentativer Bauten vorgesehen
und gab dem neuen Viertel seinen Namen. Während auf preußischem Gebiet
das Roonstraßenviertel sorgfältig geplant wuchs, schoss nördlich
der Hafenanlagen der oldenburgische Ort Neu-Heppens völlig wild aus dem
Boden. Hier an der Grenze siedelten sich alle diejenigen an, die aufgrund der
Auflage aus dem Jade-Vertrag innerhalb des preußischen Gebietes keine
Genehmigung dazu erhielten, unter ihnen viele Gastwirte mit ihren Schankwirtschaften,
die sich regen Zuspruchs durch die Hafenarbeiter erfreuten.
Ursprünglich sollte der während der Bauzeit als Hafen Heppens bezeichnete
Hafen Zollern am Meer heißen. Der Name Wilhelmshaven wird zum ersten Mal
in der Urkunde erwähnt, die am Tage der Einweihung (17. Juni 1869) bei
der Grundsteinlegung der Elisabethkirche (heute Christus- und Garnisonkirche)
im Grundstein vermauert wurde. Der Entwurf zu dieser Urkunde stammt von dem
Hafenbaudirektor Goeker. Er hatte den Namen nach niederdeutschem Brauch mit
„v“ geschrieben (wie auch Bremerhaven und Cuxhaven). In Berlin wurde
dieser vermeintliche Rechtschreibfehler korrigiert und das „v“ durch
ein „f“ ersetzt. Als Goeker am Gründungstag den Fehler bemerkte,
wandte er sich an General Albrecht von Roon und dieser an König Wilhelm
I. von Preußen. Darauf befahl der König, das „v“ wieder
einzusetzen.
Nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 wurden Wilhelmshaven
an der Nordsee und Kiel an der Ostsee gemäß der Reichsverfassung
Reichskriegshäfen. 1873 erhielt Wilhelmshaven die Stadtrechte. Wilhelmshaven
gehörte als Exklave zum damaligen Landkreis Wittmund in der seit 1866 preußischen
Provinz Hannover. Auf Grund des Flottengründungsplanes von 1873 wurde der
Hafen in einem zweiten Bauabschnitt bis 1886 stark erweitert. Der Kanalhafen
wurde verbreitert und erhielt auf seiner Nordseite einen Ausrüstungshafen.
Außerdem wurde, weil die ursprüngliche Einfahrt den Ansprüchen
nicht mehr genügte, eine weitere Einfahrt mit einer größeren
Schleuse gebaut. Sie liegt weiter südlich und damit günstiger zur
Strömung. Mit Inbetriebnahme der neuen Einfahrt erhielt sie die Bezeichnung
„Neue Einfahrt“; die zuerst gebaute Einfahrt von 1969 war jetzt
die „Alte Einfahrt“. 1888 konnte dann die Fertigstellung des in
die neuen Hafenanlagen integrierten Ems-Jade-Kanals gefeiert werden.
Die Bevölkerung im Jadegebiet nahm durch die Baumaßnahmen der Hafenerweiterung
stetig zu. Da der Bedarf nach Wohnraum im preußischen Wilhelmshaven nicht
schnell genug befriedigt werden konnte, siedelten sich immer größere
Bevölkerungsteile in den umliegenden, zum Großherzogtum Oldenburg
gehörenden Gemeinden Heppens und Neuende an. Neue Siedlungen entstanden,
denen man nach dem siegreichen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871
die Namen von französischen Städten oder Landschaften, wie zum Beispiel
Belfort, Lothringen, Elsaß, Sedan oder Straßburg, gab. Aus der immer
größer werdenden Ortschaft Belfort entstand am 1. November 1879 die
eigenständige oldenburgische Gemeinde Bant.
Mit der Regentschaft des flottenbegeisterten Kaisers Wilhelm II. und seiner
Flotten- und Außenpolitik nahm der Aufschwung Wilhelmshavens deutlich
zu. Die Kaiserliche Marine beteiligte sich nun aktiv an der Gewinnung von Kolonien
in Afrika, Asien und Ozeanien. Der wachsenden Bedeutung der kaiserlichen Marine
entsprechend, änderte sich auch die Führungsstruktur innerhalb der
Marine. Der 1898 zum Leiter des Reichsmarineamtes berufene Alfred von Tirpitz
legte ein Konzept zum Aufbau einer deutschen Hochseeflotte (Tirpitzplan) vor
und ließ dieses Konzept durch die Flottengesetze von 1898 und 1900 auf
lange Sicht fortschreiben. Die Gesetze sollten die ständigen Querelen im
Reichstag um Stärke und Finanzierung der Flotte beenden und eine langfristige
Planung ermöglichen. Für Wilhelmshaven bedeuteten die durch den Reichstag
beschlossenen Flottengesetze einen weiteren Ausbau des Hafens und der Werft
sowie eine starke Vermehrung des Schiffs- und Personalbestandes.
20. Jahrhundert
Das Zweite Flottengesetz von 1900 sah für Wilhelmshaven
die ständige Stationierung eines Geschwaders aus acht Linienschiffen vor.
Zusätzlich schritt am Anfang des 20. Jahrhundert die Entwicklung im Kriegsschiffbau
weiter voran. Immer größere Kampfschiffeinheiten wurden gebaut. Mit
den Großkampfschiffen der sogenannten Dreadnought-Klasse stellte die britische
Marine einen Schiffstyp vor, der die bisherigen Linienschiffe in jeder Hinsicht
übertrumpfte. Wollte die Kaiserliche Marine da mithalten, so musste sie
ebenfalls solche Großkampfschiffe bauen. Die deutlich größeren
Abmessungen der neuen Schiffe erforderten aber auch entsprechende Anpassungen
der Infrastruktur der Kriegsmarinehäfen, insbesondere bei den Werften,
Hafenanlagen und Schleusen.
Die Marineführung beschloss deshalb für Wilhelmshaven eine radikale
Lösung. In den Jahren 1900 bis 1909 wurden in dem bis dahin umfangreichsten
Bauabschnitt die Kaiserliche Werft vergrößert, eine dritte Einfahrt
gebaut und die Hafenanlagen nach Süden erweitert. Durch die Verlegung der
Außendeichslinie zwischen der „Neuen Einfahrt“ und Mariensiel
wurde ein großer Teil des Wattengebiets südlich der Stadt eingedeicht.
In dem so gewonnenen Gebiet entstanden die neuen Hafenbecken und -anlagen des
Großen Hafens, des Zwischenhafens und des Westhafens. Im Zuge dieses Bauabschnitts
entstand unter anderem auch die Kaiser-Wilhelm-Brücke als Verbindungsstück
zwischen der Südstadt und der neuen Außendeichslinie. Die 3. Einfahrt
mit einer 250 Meter langen Doppelkammerschleuse wurde in der Verlängerung
des Bauhafenkanals nordöstlich der ältesten Einfahrt angelegt. Mit
Inbetriebnahme der dritten Einfahrt wurden die Bezeichnungen der Einfahrten
neu vergeben. Man entschied sich für eine Durchnummerierung der Einfahrten
von West nach Ost. So ist zu erklären, warum die zuerst gebaute Einfahrt
heute als 2. Einfahrt bezeichnet wird, Am 15. Oktober 1909 konnte die neue 3.
Einfahrt mit dem erstmaligen Durchschleusen der beiden neuen Großkampfschiffe
SMS Nassau und SMS Westfalen eingeweiht werden. Beide waren die ersten auf der
Kaiserlichen Werft Wilhelmshaven gebauten Großkampfschiffe.
Die Bevölkerung von Wilhelmshaven und den umliegenden oldenburgischen Gemeinden
Heppens, Neuende und Bant stieg im Rahmen dieser Baumaßnahmen weiter an.
In den zum Amtsverband Jever gehörenden oldenburgischen Gemeinden herrschten
inzwischen durch die fortschreitende städtische Bebauung gänzlich
andere Wohn- und Sozialverhältnisse als im übrigen Amtsverband. Deshalb
wurden die drei Gemeinden am 1. November 1902 aus dem Amtsverband Jever ausgegliedert
und zu einem eigenen Amtsverband zusammengefasst, der nach dem alten friesischen
Gau Rüstringen benannt wurde. Die Forderung nach Gründung einer eigenständigen
Stadt wurde zunächst noch abgelehnt, da die Regierung des Großherzogtums
Oldenburg befürchtete, den Einfluss auf die Zusammensetzung der Stadtverwaltung
zu verlieren. So sollte die mögliche Bildung einer sozialdemokratisch geführten
Stadtverwaltung mit eigener Polizeiverwaltung durch die überwiegend sozialdemokratisch
orientierte Arbeiterschaft in den Gemeinden verhindert werden.
Der Status von Landgemeinden im Amtsverband Rüstringen endete für
die drei Gemeinden Heppens, Neuende und Bant erst am 1. Mai 1911 mit ihrer Vereinigung
zur Stadt Rüstringen. Sie war mit rund 48.000 Einwohnern die größte
Stadt im Großherzogtum Oldenburg und damit auch größer als
die Residenzstadt Oldenburg.
Kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 erklärte man
die Doppelstadt Wilhelmshaven-Rüstringen und die gesamte Umgebung zur Festung.
Mit dem Status einer Festung waren starke Beschränkungen für die Bevölkerung
verbunden, unter anderem die Einführung eines Passierscheinzwangs, das
Verbot des Betretens der Hafenbereiche und der Deiche für Unbefugte sowie
das Verbot der zivilen Schifffahrt einschließlich der Fischerei. Dadurch
sollte verhindert werden, dass dem Kriegsgegner Informationen über die
Flottenaktivitäten im Bereich der Jade bekannt werden.
Die Kaiserliche Werft Wilhelmshaven erreichte im Verlauf des Ersten Weltkrieges
ihre höchste Belegschaftsstärke. Die Hauptaufgabe der Werft bestand
in der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Hochseeflotte. Sie war dabei
nicht nur für die Weiterführung der geplanten Neubauten zuständig,
sondern in erster Linie für die Reparatur der Schiffe, die bei kriegsbedingten
Kampfhandlungen beschädigt wurden. Eine weitere Aufgabe bestand in der
Umrüstung von zivilen Schiffen zu militärischen Hilfskreuzern. Zum
Ende des Ersten Weltkrieges 1918 arbeiteten rund 20.000 Personen auf der Kaiserlichen
Werft, darunter kriegsbedingt auch viele dienstverpflichtete Frauen.
Trotz des vorangegangenen Wettrüstens war die deutsche Kaiserliche Marine
der britischen Marine zu Beginn des Ersten Weltkrieges zahlenmäßig
unterlegen. Die deutsche Hochseeflotte, die zum größten Teil in Wilhelmshaven
oder auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven stationiert war, verhielt sich daher
bis Januar 1916 eher defensiv. Mit einer Politik der Nadelstiche versuchte man
ab 1916 eine offensivere Seekriegsführung. Durch gezielte Provokationen
sollten einzelne britische Flottenteile aus ihren Stützpunkten gelockt
werden, um sie dann anschließend mit der zahlenmäßig überlegenen
Hochseeflotte, die in einer Aufnahmestellung wartete, zu vernichten.
Der Kriegshafen Wilhelmshaven war oft Ausgangspunkt für
Unternehmungen dieser Art. Bei einer davon kam es am 31. Mai 1916 zur Skagerrakschlacht,
der größten Seeschlacht des Ersten Weltkrieges zwischen der Hochseeflotte
der deutschen Kaiserlichen Marine und der Grand Fleet der britischen Marine.
Beide Seiten beanspruchten den Sieg für sich; aber obwohl die Kaiserliche
Marine der britischen Marine die deutlich schwereren Verluste beibrachte, konnte
die deutsche Hochseeflotte die englische Vorherrschaft auf See nicht nachhaltig
gefährden. Letztlich hatten die Seeschlachten des Ersten Weltkrieges (unter
anderem das Seegefecht bei Helgoland, das Gefecht auf der Doggerbank und die
Skagerrakschlacht) auf den Gesamtverlauf des Ersten Weltkrieges keine entscheidende
Bedeutung. Viele der Gefallenen der Seeschlachten des Ersten Weltkrieges wurden
in Wilhelmshaven auf dem 1914 neu angelegten Ehrenfriedhof am Rüstringer
Stadtpark beigesetzt.
Mit dem Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918 beabsichtigte die deutsche Admiralität
kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Entscheidungsschlacht („ehrenvoller
Untergang“) mit der britischen Marine im Ärmelkanal. Nach dem Befehl,
das Auslaufen der Hochseeflotte vorzubereiten, brachen am 29./30. Oktober 1918
zunächst vereinzelte Meutereien aus, die ab dem 3. November 1918 zum Kieler
Matrosenaufstand führten. Der Aufstand war Ausgangspunkt der Novemberrevolution,
die zur Ausrufung der Weimarer Republik führte.
In Wilhelmshaven-Rüstringen wurde am 6. November 1918 nach einer Massendemonstration
von über 20.000 Marineangehörigen, Werftarbeitern und anderen Zivilisten
ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, dessen Ausführungsorgan der sogenannte
„21er“-Rat war. Zum Vorsitzenden des Rates wurde Bernhard Kuhnt
ernannt. Der „21er“-Rat übernahm ohne Gegenwehr des militärischen
Stationskommandos die Macht über die Festungsstädte und erklärte
am 10. November 1918 vor rund 100.000 begeisterten Demonstranten in Wilhelmshaven
die Nordseestation und alle umliegenden Inseln und Marineteile sowie das dazugehörige
ganze Oldenburger Land zur sozialistischen Republik Oldenburg/Ostfriesland und
die Absetzung des Großherzogs von Oldenburg.[13] Unter dem Eindruck der
Demonstrationen und dem Druck der breiten Mehrheit der Landtagsabgeordneten
in Oldenburg dankte der Großherzog Friedrich August am 11. November 1918
ab und erklärte seinen Thronverzicht. Das Großherzogtum Oldenburg
wurde daraufhin zum Freistaat erklärt. Als provisorische Regierung wurde
ein Landesdirektorium gebildet, dem unter anderem auch der Rüstringer Landtagsabgeordnete
Paul Hug und Kuhnt angehörten. Kuhnt wurde Präsident des neuen Freistaats
Oldenburg.
Die Kandidatenaufstellung für die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung
am 19. Januar 1919 führten in Wilhelmshaven-Rüstringen zu unüberwindlichen
Gegensätzen innerhalb der SPD. Als der Rüstringer Abgeordnete Hug
einen besseren Listenplatz als Kuhnt erreichte, beschloss der „21er“-Rat,
bei der Wahl zur Nationalversammlung mit einer eigenen Liste für die USPD
anzutreten, an deren Spitze Kuhnt aufgestellt wurde. Trotz der vielen USPD-Anhänger
unter den rund 100.000 Marinesoldaten, die sich Ende 1918 noch immer in Wilhelmshaven-Rüstringen
aufhielten, stimmten weite Teile der Bevölkerung nicht für die radikale
USPD, sondern für die gemäßigtere SPD. Während Hug in die
Nationalversammlung gewählt wurde, erhielt Kuhnt nicht die erforderliche
Stimmenanzahl.
Nach der Wahlniederlage der USPD versuchte die kommunistische KPD durch einen
Putsch die Macht an sich zu reißen. Am 27. Januar 1919 besetzten ihre
Anhänger den Bahnhof, die Post, das Fernsprechamt, die Reichsbankstelle
und die Rathäuser der Doppelstadt Wilhelmshaven-Rüstringen. In der
Reichsbankstelle raubten die Putschisten über 7 Millionen Mark, darunter
den gesamten Goldbestand der Zweigstelle. Noch am selben Tag konnten reguläre
Truppen der Marinegarnison die verfassungsmäßige Ordnung wieder herstellen.
Die Putschisten zogen sich daraufhin in die Tausend-Mann-Kaserne in Wilhelmshaven
zurück und verschanzten sich. Da sie nicht aufgeben wollten, wurden sie
durch Artilleriebeschuss zur Kapitulation gezwungen. Acht Tote und 46 Verwundete
waren zu beklagen. Im Zuge dieser Aktion musste der „21er“-Rat die
militärische Kontrolle aufgeben. Nachträglich wurde bekannt, dass
seine Mitglieder von der Planung des Putsches in Kenntnis gesetzt worden waren,
aber trotzdem nicht eingegriffen hatten. Kuhnt wurde daraufhin vom Verteidigungsministerium
in Berlin beurlaubt und am 29. Januar 1919 seines Amtes als Präsident des
Freistaats Oldenburg enthoben.
Am 1. April 1919 wurde Wilhelmshaven eine kreisfreie Stadt, zwei Monate später
erhielt Rüstringen den Status „Stadt I. Klasse“.
Die Auflagen zur Abrüstung und Auslieferung eines großen Teils der
Vorläufigen Reichsmarine, die bereits mit dem Waffenstillstandsabkommen
vom 11. November 1918 wirksam wurden, und die Bedingungen zur Reduzierung der
Marine im Versailler Friedensvertrag am 28. Juni 1919 trafen die Wirtschaft
der Jadestädte in den Nachkriegsjahren hart. Bedingt durch die einseitige
Ausrichtung auf die Kaiserliche Werft und die Marine, verlor ein Großteil
der Bevölkerung seine Existenzgrundlage. Die Kaiserliche Werft, nun in
Reichsmarinewerft umbenannt, wurde zwar in deutlich reduziertem Maße weitergeführt,
durfte aber aufgrund der Auflagen des Versailler Vertrages zunächst keine
neuen Schiffe bauen. Erst Anfang 1925 konnte mit dem Stapellauf des Leichten
Kreuzers Emden der erste Schiffsneubau für die junge Reichsmarine gefeiert
werden.
Die Anstrengungen der beiden Städte zur Umstellung auf eine Friedensproduktion
waren vielfältig, aber aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder
vom Misserfolg geprägt. Der Versuch, eine Hochseefischereiflotte in Wilhelmshaven
zu etablieren, begann vielversprechend, scheiterte aber bereits 1922 wieder,
als die Nachfrage nach Fisch durch die Aufhebung der bis dahin noch bestehenden
Fleischrationierung zusammenbrach. Der Bedarf nach Abwrackkapazitäten führte
auch nur kurzfristig zu einem Boom in diesem Bereich. Wilhelmshaven-Rüstringen
wurde für ein paar Jahre mit elf Abwrackwerften zum größten
Schrottplatz Europas. Die Einführung der Rentenmark im Spätherbst
1923 machte dem ein jähes Ende. Fast alle neu angesiedelten Unternehmen
mussten schließen. Ab 1925 konnten viele Arbeitslose durch Notstandsarbeiten
im Baubereich, also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, kurzfristig beschäftigt
werden. Durch diese Maßnahmen konnten bis 1928 Bauvorhaben wie die Eindeichung
des Rüstersieler Außengrodens, der Bau des Rüstringer Rathauses,
die Erweiterung des Rüstringer Stadtparks und andere städtebauliche
Projekte realisiert werden.
In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre versuchte die Stadt mit dem Ausbau
des Fremdenverkehrs ein weiteres ziviles Standbein zu schaffen. Mit großem
Werbeaufwand („die grüne Stadt am Meer“) wurde versucht, Wilhelmshaven-Rüstringen
als neuzeitliches Nordseebad für den Mittelstand aufzubauen. Es wurde eine
Strandanlage am Südstrand mit fünf Strandhäusern und einer Strandhalle
geschaffen. Die Bauten kosteten rund 950.000 Reichsmark und wurden am 16. Juni
1928 eingeweiht. Der Erfolg gab den Planern recht. 1928 wurden 10.543 Gäste
gezählt, eine Zahl, die bis 1932 auf rund 13.000 gesteigert werden konnte
und so zu einer vorübergehenden Verbesserung der wirtschaftlichen Situation
beitrug.
Nach der Machtergreifung im Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten
systematisch mit der Wiederaufrüstung der Wehrmacht. Mit dem Deutsch-britischen
Flottenabkommen von 1935 gestattete die britische Regierung der deutschen Kriegsmarine
eine deutliche Erhöhung der Flottenstärke. Die Jadestädte erlebten
daraufhin einen erneuten wirtschaftlichen Aufschwung, denn die eingeleitete
Flottenpolitik erforderte den weiteren Ausbau der Hafen- und Werftanlagen in
Wilhelmshaven. Die bereits aus dem Jahre 1917 stammende Planung einer Norderweiterung
des Hafens mit einer 4. Einfahrt wurde wiederaufgenommen; bereits 1936 begann
der Bau der neuen Einfahrt. Diese hatte wie die 3. Einfahrt zwei Schleusenkammern,
die jedoch in einem größeren Abstand voneinander errichtet wurden.
Dadurch wollte man die Gefahr einer gleichzeitigen Außerbetriebsetzung
durch Beschädigung der Mittelwand bei Luftangriffen vermindern. Die Maße
der neuen Schleusenkammern (390 Meter lang, 60 Meter breit) übertrafen
bei weitem die Abmessungen der Großkampfschiffe der Bismarck-Klasse. Die
4. Einfahrt wurde am 7. November 1942 mit der Schleusung des Leichten Kreuzers
Emden durch die Ostkammer in Betrieb genommen und auf den Namen Raeder-Schleuse
getauft. Kriegsbedingt wurde die Einfahrt nur zum Teil fertig; bis Kriegsende
konnte nur die Ostkammer genutzt werden.
Durch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 wurden das preußische Wilhelmshaven
und das oldenburgische Rüstringen zum 1. April 1937 zur neuen, nunmehr
oldenburgischen Stadt Wilhelmshaven vereinigt. Gleichzeitig wurde das benachbarte
Dorf Rüstersiel eingemeindet. Eine weitere Gebietsreform zum 1. Juni 1938
erweiterte das Stadtgebiet um Teile der benachbarten, 1933 gebildeten Gemeinde
Kniphausen. Auf dem Reißbrett entstanden Planungen, die einen Ausbau der
Stadt auf bis zu 500.000 Einwohner vorsahen. Dezentrale Siedlungen am Rande
der Stadt wurden für die stetig wachsende Bevölkerung gebaut. Im Zuge
dieser Baumaßnahmen entstanden Altengroden, Neuengroden, Fedderwardergroden
und Voslapp. 1940 erreichte die Bevölkerungszahl mit 133.041 ihren historischen
Höchststand.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Bausubstanz der Stadt durch mehr als 100 Luftangriffe,
davon 16 Großangriffe, stark zerstört. Der erste Luftangriff auf
Wilhelmshaven erfolgte bereits am 4. September 1939, der letzte am 30. März
1945. Der wohl schwerste Luftangriff zerstörte am 15. Oktober 1944 das
alte Wilhelmshaven. Bei Kriegsende lag allein 60 % der Wohnfläche in Trümmern.
Die vergleichsweise geringe Zahl an Luftkriegstoten (435) war den vielen Luftschutzbunkern
zu verdanken, welche überall im Stadtgebiet errichtet wurden. Die meisten
Luftkriegstoten wurden in Reihengräbern auf dem städtischen Friedhof
Aldenburg beigesetzt. Dort erinnert seit 1978 ein Mahnmal an die zivilen Bombenopfer
der Stadt.
In der Zeit des Nationalsozialismus fanden auch in Wilhelmshaven
Verfolgung, Zwang und Unterdrückung statt. Das KZ Neuengamme unterhielt
seit September 1944 ein Außenlager am Alten Banter Weg. Die Insassen,
überwiegend Franzosen und Niederländer, mussten Zwangsarbeit leisten
und wurden zum Beispiel auf der Kriegsmarinewerft sowie bei der Bombenräumung
in der Stadt eingesetzt. In vier Baracken waren 1.125 Männer unter widrigen
Bedingungen zusammengepfercht; mindestens 234 von ihnen überlebten die
menschenverachtenden Umstände der Internierung nicht. Heute ist ein Teil
des Lagergeländes eine KZ-Gedenkstätte. Im April 1945 löste die
SS das KZ Wilhelmshaven auf. Die Häftlinge sollten mit der Eisenbahn in
das Stammlager in Hamburg-Neuengamme gebracht werden. Auf einer Zwischenstation
im Bahnhof von Lüneburg kamen 256 Männer um, als bei einem großflächigen
Bombardement der Alliierten auch der Zug getroffen wurde. Der Leiter des Transports,
der damals 36-jährige dänische SS-Mann Gustav Alfred Jepsen, wurde
für die von ihm verübten Verbrechen im KZ Wilhelmshaven 1947 zum Tode
verurteilt und in Hameln hingerichtet.
Etwa 1000 Niederländer wurden 1945 im Lager Schwarzer Weg interniert.
Am 6. Mai 1945 wurde die Stadt von der in Schottland aufgestellten 1. Polnischen
Panzerdivision unter dem Kommando von Stanislaw Maczek besetzt. Mit der bedingungslosen
Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 begann für Wilhelmshaven die Besatzungszeit
in der britischen Besatzungszone. Die zunächst verkündete weitestgehende
Beseitigung Wilhelmshavens als Kriegshafenstadt konnte abgewendet werden. Es
blieb bei der Demontage und Verschiffung des gesamten Inventars der Kriegsmarinewerft
sowie der Zerstörung aller militärischen Einrichtungen. Im Zuge der
Operation „Bailiff“ wurden bis zum Frühjahr 1950 alle Werft-
und Kaianlagen, Docks und Schleusen einschließlich der neuen 4. Einfahrt
gesprengt. Nur die zweitälteste und kleinste Einfahrt, die 1. Einfahrt,
blieb von der Zerstörung verschont.
In Folge der Demontage und Zerstörung fast aller Werftanlagen stieg die
Arbeitslosigkeit zunächst dramatisch an. Im Juni 1952 lag die Arbeitslosenquote
im Arbeitsamtsbezirk Wilhelmshaven bei 24,3 % (zum Vergleich: Bund 7,6%; Land
Niedersachsen 12,3 %). Ihrer hafenwirtschaftlichen Infrastruktur beraubt, musste
sich die Stadt neu orientieren und andere wirtschaftliche Grundlagen suchen.
Das gelang mit der Neuansiedlung einiger mittelständischer Unternehmen,
wie zum Beispiel des Büromaschinenherstellers Olympia, der Kranbaufirma
Krupp-Ardelt, der Kammgarnspinnerei und -weberei KSW sowie des Nutzfahrzeugherstellers
Nordwestdeutscher Fahrzeugbau. Diese Unternehmen nutzten die leerstehenden Immobilien
der ehemaligen Marine und das qualifizierte Arbeiternehmerangebot, das sich
vor allem aus den Arbeitern der ehemaligen Kriegsmarinewerft zusammensetzte.
Erfolgreich waren auch die Bemühungen zur Ansiedlung von Hochschulen und
wissenschaftlichen Instituten wie der Hochschule für Arbeit, Politik und
Wirtschaft in Rüstersiel, der Pädagogischen Hochschule für Gewerbelehrer,
der Pädagogischen Hochschule für landwirtschaftliche Lehrer, dem Max-Planck-Institut
für Zellbiologie und dem Institut für Vogelforschung – Vogelwarte
Helgoland. Ab den frühen 1960er Jahren verlor Wilhelmshaven die meisten
dieser Einrichtungen wieder. Lediglich das Institut für Vogelforschung
konnte in Wilhelmshaven gehalten werden. Eine weitere neue schulische Einrichtung
in Wilhelmshaven war die „Prince Rupert School“. Die 1947 gegründete
englische Internatsschule für die Kinder britischer Besatzungsangehöriger
war auf dem Gelände der ehemaligen U-Boot-Kaserne direkt am Banter See
untergebracht. Sie bestand bis 1972 und hatte in ihrer Hochzeit zeitweise mehr
als 700 Schüler und Schülerinnen. Die englischen Internatskinder mit
ihren typischen britischen Schuluniformen prägten lange Jahre das Wilhelmshavener
Stadtbild.
Mit der deutschen Wiederbewaffnung und dem Aufbau der Bundesmarine wurde Wilhelmshaven
1956 wieder Marinehafen. Am 2. Januar 1956 begannen die ersten Freiwilligen
der neuen Bundesmarine ihren Dienst in Wilhelmshaven, und am 6. Juni 1956 liefen
die ersten Schiffe, von den USA zurückgegebene Minenräumboote der
ehemaligen deutschen Kriegsmarine, ein. Das neue Verteidigungskonzept sah auch
die Errichtung eines Marinearsenals zur Wartung und Instandhaltung der neuen
Schiffseinheiten vor. 1957 wurde mit den Planungen auf dem Gelände der
ehemaligen Kriegsmarinewerft begonnen. Innerhalb von 15 Jahren entstand auf
dem Trümmergelände einer der größten Arbeitgeber Wilhelmshavens.
Parallel zum Aufbau des Marinearsenals wurde mit dem Planungen zum Wiederaufbau
der gesprengten 4. Einfahrt begonnen. In den Wiederaufbau wurde die Neuanlage
eines tideunabhängigen Vorhafens mit einem Marinestützpunkt einbezogen.
1956 begannen die ersten Vorarbeiten. Am 4. Oktober 1964 nahm die neue 4. Einfahrt
ihren Betrieb auf. Der im Vorhafen errichtete Marinestützpunkt Heppenser
Groden wurde am 9. August 1968 eingeweiht.[15]
Im November 1956 wurde die Nord-West-Oelleitung GmbH (NWO) in Wilhelmshaven
gegründet. Ziel der Gesellschaft ist der Bau und Betrieb der ersten Mineralölfernleitung
in Europa, um so die Rohstoffversorgung mehrerer Mineralölraffinerien im
Emsland und im Rhein-Ruhr-Gebiet sicherzustellen. Auf dem Heppenser Groden entstanden
die Betriebsanlagen der NWO, zu der eine Tankerlöschbrücke am tiefen
Fahrwasser der Jade, ein Zwischentanklager auf dem Heppenser Groden sowie eine
28-Zoll-Mineralölfernleitung mit allen notwendigen technischen Einrichtungen
gehörten. Die neue Gesellschaft nahm ihren Betrieb im November 1958 auf.
Am 29. November 1958 liefen die ersten Rohöltanker Wilhelmshaven an und
löschten ihre Ladung. Seitdem entwickelte sich der neugebaute Ölhafen
Wilhelmshaven zum größten Mineralölimporthafen der Bundesrepublik
Deutschland.
Am 1. Juli 1972 wurde die Gemeinde Sengwarden mit ihren zugehörigen Ortsteilen
bzw. Wohnplätzen, darunter Fedderwarden, nach Wilhelmshaven eingegliedert.
Damit erreichte das Stadtgebiet Wilhelmshavens seine heutige Ausdehnung.
In den Jahren 1970 bis 1981 wurden auf den neu gewonnenen Grodenflächen
am tiefen Jadefahrwasser weitere Großindustrieunternehmen angesiedelt.
Nach der Nord-West-Oelleitung GmbH im Heppenser Groden entstanden ein Werk zur
Chloralkali-Elektrolyse (Alusuisse Atlantik GmbH) und ein Kraftwerk (Nordwestdeutsche
Kraftwerke AG) im Rüstersieler Groden sowie eine Erdöl-Raffinerie
(Mobil Oil AG) und ein Chemiewerk zur Herstellung von VCM und PVC (Imperial
Chemical Industries Ltd) im Voslapper Groden. Die für Wilhelmshaven bis
dahin positive wirtschaftliche Entwicklung endete mit der Ölkrise von 1979.
Die der Ölkrise nachfolgende wirtschaftliche Rezession und der damit verbundene
Rückgang beim Verbrauch von Mineralölprodukten führten am 1.
April 1985 schließlich zur Stilllegung der Raffinerie.
Quelle: Wikepedia